Radexpedition 2004 "Trans Himalaya"
Expeditionsbericht
Vom heiligen Berg Kailash nach Kashgar
Bevor es losgeht müssen wir uns jedoch abermals der unberechenbaren chinesischen Polizei stellen. Wieder zittern unsere Knie als wir die PSB Station in Darchen (Ausgangsort am Kailash Berg) erreichen, um endgültig eine Aufenthaltsgenehmigung für Westtibet zu beantragen. Diesmal haben wir endlich Glück und bekommen unser Permit, mit nur einem Haken, nochmals 500 Yuan / 50 EUR Strafe. Nun hat sich endlich die ständige Angst erwischt zu werden und im Gefängnis zu landen verflüchtigt, wir sind von jetzt an legal unterwegs. Schnell sind unsere Sachen gepackt, die Räder sicher untergebracht und die Bergschuhe geschnürt, für die so heilige Kora – Kailash Umwandlungspilgerweg. Wir starten auf 4.600 m Höhe in Darchen und verschwinden im morgendlichen Dunst der Wolken, in einem sehr engen Tal. Langsam schält sich die knapp 7.000 m hohe, mythenumwobene Bergpyramide aus den Wolken. Während wir die 52 Kilometer lange Kora im Uhrzeigersinn trecken, übersteigen wir den höchsten Pass unserer Expedition - Dogma La mit 5.630 m. Mystische Plätze ziehen an uns vorüber, an denen die Tibeter Himmelsbestattungen durchführen oder einfach persönliche Dinge, wie Kleidung zurücklassen, so dass Ihre Seelen nach dem Tod an diesen heiligen Platz zurückkehren können. Gemeinsam mit indischen und tibetischen Pilgern stehen wir vor dem mächtigen Nordmassiv dieser perfekten Schöpfung der Natur und können die Besonderheit dieses außergewöhnlichen Platzes langsam verstehen. Durch unser extremes Radfahren in den ständigen Höhen sind unsere Beine das Laufen nicht mehr gewohnt und wir kriechen am zweiten Tag halb auf Krücken zurück nach Darchen. Doch wir haben es geschafft. Keinen einzigen Tag Pause gönnen wir uns und fahren oder eher schütteln gleich am nächsten Tag weiter über die endlose Himalaya-Panzerpiste. Oft werden wir gestoppt von hüfttiefen, reisenden Flüssen, welche es zu durchqueren gilt. Manchmal ein ewig andauernder Kampf, um nicht Gefahr zu laufen, von der Strömung erfasst zu werden oder gar Ausrüstungsteile zu verlieren. Gigantische Höhen- und Eisstürme quälen sich über die mächtige Haupthimalayakette und lassen uns einfach keine Ruhe. Eiskalte Füße und Hände gehören zum tagtäglichen Brot der Expedition. Traubengroße Hagelkugeln schießen wie Raketen aus den Wolken über unsere Köpfe hinweg und knallen auf unsere blutig offenen Lippen, zwingen uns Schutz zu suchen, aber verbittert kämpfen wir uns weiter vorwärts. Ali, die entlegene Hauptstadt von Westtibet rückt langsam näher und eine kurze Entlastung von der schrecklichen Piste sind die 80 Kilometer Asphalt, welche uns nach Ali hineinbringen. Nach Wochen können wir uns endlich wieder in der Heimat melden und den derzeitigen Expeditionsstandort übermitteln. Von hier aus liegt immer noch der schwerste und höchste Himalayateil vor uns. Das Aksai Chin, ein Randgebiet des Chang Tang, dem höchsten und kältesten Plateau der Welt. Unsere Expedition nimmt langsam gewaltige Ausmaße an. Nach einem kurzen Sekundenbad im eiskalten Bangongsee türmt sich die Himalayalandmasse hinauf zu den Sternen. Von nun an sind wir jeden Tag deutlich über 5.000 m Höhe unterwegs. Die Pässe, fast fünfeinhalbtausend Meter hoch, sind so zahlreich wie nie zuvor. Der lange Aufenthalt in diesen eisigen Höhen schlägt sich auf unsere Geschwindigkeit nieder und wir werden langsamer. Die Gegend ist unwirtlich und wir trauen unseren Augen nicht, wenn wir die eigenen Videoaufnahmen am Abend nochmals anschauen und erkennen, wo wir eigentlich sind. Keine Menschenseele, nur ewiges Eis, Berge, Steine und Hochgebirgswüste. Was auch bedeutet, keine Hilfe im Notfall, nur wir zwei kleinen Menschen inmitten der Endlosigkeit. Es ist ein Kampf mit den Elementen der Natur und dem eigenen inneren Willen, ein Grenzgang des menschlich Möglichen. Tagelang werden wir eingeschneit und mächtige Unwetter zwingen uns fast zur Aufgabe, dem Abbruch der Expedition. Aber zwei Sachsen geben nicht so einfach auf, wir meistern das Aksai Chin und gelangen langsam in tiefere Gefilde, um 4.000 m. Bis zum nächsten Rückschlag, als Peers Anhängerrad kaputt geht und Gils Hinterradnabe sich nicht mehr treten lässt. Wiedereinmal ist Improvisieren angesagt und wir reparieren inmitten vom Nirgendwo provisorisch unsere Ausrüstung. Vor uns liegt nun noch die Überquerung des riesigen Kunlungebirges, welches mit vielen 7.000ern die Randbegrenzung des Himalaya-Tibet-Plateaus bildet. Die letzten eiskalten, windumstürmten Pässe warten nun auf uns und wir versuchen die allerletzten Kräfte zu mobilisieren. Auch heute gibt es für uns wieder eine Überraschung, mitten in den tiefen Tälern des Kunlun. Ein Transportfahrzeug von chinesischen Straßenvermessungsarbeitern fährt uns, ohne zu Hupen, fast haarscharf über den Haufen. Ein paar Kilometer weiter treffen wir diese Chinesen am Straßenrand wieder und wollen sie zur Rede stellen. Ein großer Fehler, denn Sie rufen schnell Verstärkung über Ihren Arbeitsfunk und schon gehen 6 Chinesen mit unglaublicher Aggression und geballten Fäusten auf uns los. Peer wird mit einem Kopfstoss niedergestreckt und blutet stark. Gil wird mit einem Knüppel von 6 Leuten zu Boden geschlagen. Erst als wir beide verletzt am Boden liegen, lassen sie von uns ab. So schnell wir noch können suchen wir das Weite. Nun ist der moralische Tiefpunkt der Expedition erreicht, so kurz vorm Ziel. Noch sichtlich benommen, schwören wir uns, in den nächsten LKW einzusteigen und schnellstens hier raus zu fahren. Doch schon wenige Stunden später kehrt sich unser Selbstmitleid wieder in Ergeiz um und wir nehmen die letzte Strecke in Angriff. Ein sehr lang ersehnter Tag lässt eine weitere, aber letzte kalte Nacht hinter sich. Wir haben es geschafft und stehen auf dem letzten Himalayapass und somit befinden wir uns am Ausgangstor des endlosen, sagenumwobenen Himalaya-Gebirges. E geht in die dunstige Tiefe des Tales hinunter, bis ein weiterer Glücksmoment über uns rauscht. Nach unglaublichen 3.500 Kilometern Panzerpiste, 61 gewaltigen Himalayapässen und unglaublichen 100.000 überfahrenen Höhenmetern, haben wir Gott sei Dank den schönen Asphalt der Straße wieder. Schnell rollen wir nun bergab und lassen endlich die letzten Bergspitzen hinter uns. Es wird spürbar heißer, denn nun fahren wir am Rande der Taklamakan Wüste (zweitgrößte Sandwüste der Welt) entlang. Unser Ziel ist die Stadt Kashgar, eine alte Handelskaravanserei an der Seidenstraße rückt immer schneller in greifbare Nähe. Baumwoll- sowie Sonnenblumenfelder wechseln sich ab mit grünen Pappelalleen und Sanddünen erscheinen zwischen urtümlichen Lehmhütten. Das orientalisch, zentralasiatische Gefühl schleicht sich langsam in uns ein. Endlich gibt es auch wieder genug zu essen. Nachdem wir Beide ca. 10-15 Kg Gewicht abgebaut haben, brauchen wir dringend wieder abwechslungsreichere Nahrung. Der 30. August 2004 ist der letzte Tag auf unseren Rädern, denn wir erreichen nach 5.469 Kilometern Bergen und Piste, total erschöpft und abgekämpft, aber sicher, die Stadt Kashgar. Ein unbeschreibliches Freudengefühl erfüllt uns mit Stolz und Zufriedenheit. Vielleicht sind wir die einzigen Deutschen, aber mit Sicherheit zwei, der ganz wenigen Menschen weltweit, welche diese Strecke am Stück bezwungen haben.
Somit hat die Sächsische Trans-Himalaya-Radexpedition, mit Gil Bretschneider & Peer Schepanski, das Expeditionsziel erreicht.
Ein besonderes Dankeschön möchten wir hiermit an unsere Sponsoren richten, ohne welche diese außergewöhnliche Expedition nicht möglich gewesen wäre.
Gil & Peer