BIKE Afrika 2013 / 2014
1. Expeditionsbericht: 10 cm Neuschnee am Kilimandscharo
Mir klingen noch die gut gemeinten Ratschläge meiner Familie sowie vieler meiner Freunde in den Ohren, als ich in München das Flugzeug von Egyp Air besteige, um das erste Mal nach Afrika zu fliegen. Über eines waren sie sich dabei alle einig, alleine auf den Schwarzen Kontinent zu fliegen, wäre viel zu gefährlich und dabei auch noch dessen drei höchste Berge zu besteigen, macht es sicher nicht einfacher. Ich habe mich jedoch noch nie von so etwas verunsichern lassen und dennoch ist etwas anders als sonst, nämlich das ich diese Radreise allein bestreiten werde. Ich muss zugeben, ich habe eine ordentliche Portion Respekt, muss mich aber meinen Ängsten stellen, um am Ende allen zu erzählen, wie Afrika wirklich ist.
Über Kairo fliege ich mit 70 kg Gepäck nach Nairobi, der Hauptstadt Kenias und werde am Flughafen von meinem Kontaktmann in Empfang genommen. Ich habe von Deutschland aus mit einer afrikanischen Agentur, welche hier auf Bergbesteigungen spezialisiert ist, Kontakt aufgenommen, da man anders gar nicht auf den Kilimandscharo gelangt, außer eben mit einer Genehmigung, einem Führer und einem Koch sowie einigen Trägern. Schon allein dies ist Neuland für mich, habe ich doch in der Vergangenheit immer alles allein organisiert und natürlich auch mein Gepäck selbst getragen.
In einem Bus geht es samt meinem Rad sowie aller anderen Sachen, welche ich für dieses Afrika-Abenteuer benötige, über die 200 km entfernte Grenze nach Tansania. Mein Stützpunkt ist Arusha, nur 80 km vom höchsten Berg Afrikas entfernt. Ich gönne mir 2 Tage Akklimatisation, um alles für den Aufstieg vorzubereiten. Mein Rad, die Packtaschen und alles was ich für meinen ersten Berg nicht benötige, bleiben im Hotel abgeschlossen zurück.
Am 06.12.2013 fahren wir, mein Führer Charlos, der Koch Peter, meine drei Träger und ich, mit dem Minibus ins 80 km entfernte Machame. Am Nationalparkeingang wird das gesamte Gepäck gewogen und auf die einzelnen Träger verteilt. Dabei fällt mir schon zum ersten Mal auf, wie viele sinnlose Dinge den Berg hinauf geschleppt werden. Ich trage ungewohnter Weise nur einen kleinen Rucksack von ca. 10 kg. Mein anderes Gepäck sowie das Zelt wiegen ca. 12 kg. Das Limit für einen Träger beträgt 20 kg, was hier peinlichst eingehalten wird, da es unter den Trägern schon viele Todesopfer gab, was der Überforderung der Träger zugeschrieben wird. Nachdem viele Formulare ausgefüllt wurden und etliche Unterschriften getätigt sind, öffnet sich endlich das Tor und wir laufen los.
Mir fällt nicht nur auf wie organisiert und strukturiert dieser Berg vermarktet wird, sondern auch wie schlecht das Wetter ist. Bereits kurz nach unserem Aufbruch fängt es an zu regnen und dieses Wetter wird uns länger begleiten, als mir lieb ist. Es geht durch märchenhaft anmutenden Bergnebelregenwald mit riesigen Bäumen, an denen Moose und Flechten herunter hängen. Der Weg ist leicht zu finden, denn zehntausende von Bergtouristen haben ihre Spuren bereits hinterlassen. Aber anders als an vielen Bergen an denen ich schon war, findet man hier keinen Müll, weil auf die Zurückführung jeglicher Plastikartikel ganz genau geachtet wird. Am ersten Lager, dem Machame Camp auf 3.100 m, baue ich mein kleines Zelt auf und werde am Abend mit einem 3-Gänge-Menü verwöhnt. Jetzt stellt sich auch heraus, warum ich drei Träger dabei habe. Und obwohl ich damit die kleinste Gruppe bilde, hätte sie meines Erachtens noch viel kleiner sein können. Ich brauche für diese überschaubaren 6 Tage kein Hühnchen, kein Brot oder Spiegelei zum Frühstück. Bei den anderen Gruppen sieht es sogar noch luxuriöser aus, denn dort dinieren die Kilimandscharo-Anwärter im Essenszelt am Tisch und sitzen auf Campingstühlen. Mir wird gleich klar, dass die Besteigung des höchsten Berges Afrikas eine neue Erfahrung für mich sein wird.
In den kommenden Tagen durchschreite ich mit anderen Mitstreitern die verschiedenen Vegetationszonen dieses Berggiganten. Unser Weg führt vom Regenwald, über die fragile, aber wunderschön anmutende Moorzone mit ihren einzigartigen Pflanzen, zur etwas trostlosen und kargen Alpinenzone. Unterwegs rasten wir immer auf riesigen Campingplätzen, welche wunderbar zeigen, wie viele Bergtouristen hier in der Hauptsaison entlang wandern. Ranger bei denen wir uns immer wieder an- und abmelden müssen, sprechen von ca. 700 Touristen plus ihre 1.500 Begleitpersonen. Das kann und will ich mir nicht vorstellen und gewinne das erste Mal dem schlechten Wetter etwas Positives ab. Wer will schon den legendären Kilimandscharo im Schneetreiben besteigen? Ich und nur 14 weitere Mutige soll es jedoch nicht abschrecken, diesen höchsten Berg des Schwarzen Kontinents unter die Bergschuhe zu nehmen.
Die größte Herausforderung in der Besteigung des technisch einfachen Vulkans ist die kurze Zeit, in der wir von 1.000 m bis auf fast 6.000 m Höhe hinauf laufen. Am 09.12.2013 sind wir schon im letzten Lager, dem Baranco Camp auf 4.630 m angekommen und ich würde wirklich übertreiben, wenn ich behaupten könnte ich wäre ausreichend akklimatisiert gewesen. Dennoch soll es am nächsten Morgen früh um 1:30 Uhr losgehen. Ich war die letzten Tage trotz vieler Filmpausen, um diese wunderschöne Natur zu dokumentieren, immer einer der ersten Bergsteiger im jeweils nächsten Camp. Somit konnte ich auch immer dem gröbsten Regen entkommen und hatte genügend Zeit, mich vor der kommenden Etappe zu regenerieren. Das ist auch der Grund, warum ich nicht wie so viele der Anderen, noch vor Mitternacht los laufe. Denn wenn ich zu schnell am Gipfel wäre, müsste ich in eisiger Kälte noch bis zum Sonnenaufgang ausharren. Die verbleibenden ca. 1.300 Höhenmeter sind bei guten Wetterbedingungen schon nicht zu unterschätzen, geschweige denn, wenn es schneit, wie in meinem Fall. Schon während der Nacht verursacht das rieselnde Geräusch von herabfallendem Schnee auf das Zelt Sorgenfalten auf meiner Stirn. Um 6.30 Uhr geht die Sonne auf, das gibt mir 5 Stunden Zeit den Gipfel zu erreichen. Normalerweise brauchen die meisten Bergsteiger zwischen 6-8 Stunden oder mehr, da der Weg nicht nur 7 km weit, sondern auch über 5.000 m hoch ist und das nach gerade mal 4 Tagen Aufstieg. Das kann nur wehtun, aber ich muss ehrlich zugeben, ich stehe auf solche Herausforderungen.
Am 10.12.2013 stapfe ich mit meinem treuen Führer im Licht unserer Stirnlampen den steilen Hang des Kilimandscharo empor. Über uns am Berg sehen wir immer wieder das Aufflackern von Lichtpunkten wie das Leuchten von Sternen, jedoch sind es die Bergsteiger, welche 2 Stunden vor uns aufgebrochen sind und die wir nach und nach überholen. Einige von ihnen samt ihrer erfahrenen Bergführer haben sich im 10 cm tiefen Neuschnee verirrt und finden nur schwer auf die eigentliche, aber zu diesem Zeitpunkt stark verschneite Route zurück. Ich habe Glück, denn mein Begleiter Charlos ist zwar jung, findet aber trotz peitschendem Schnee und schlechter Sicht immer den richtigen Weg. Die Luft ist dünn und immer öfter muss ich pausieren, was sicher auch meinem leichten, aber in dieser Höhe dennoch schweren Gepäck geschuldet ist. Im Rucksack sind eine Kamera samt Stativ, ein paar Müsliriegel, natürlich die Gletscher Inge mein Maskottchen und 3 Liter Wasser in einem Wassersack, der dank vereistem Trinksystem zum unnötigen Ballast für mich wird.
Nach ca. 4 Stunden sind wir knapp unterhalb des Kraterrandes angekommen und am Horizont, den man dank der dicken Wolkenwände nur erahnen kann, beginnt das Morgengrauen. Nun ist es ein Wettlauf gegen die Zeit, wenn ich noch rechtzeitig vor dem Sonnenaufgang den Gipfel erreichen will. Auf 5.737 m erreiche ich Stella Point und von hier sind es mindestens noch 45 min. bis zum Hauptgipfel, also ist an ausruhen nicht zu denken. Phillip, ein weiterer Deutscher und unsere beiden Führer sind die ersten, welche eine Spur in den frischen Schnee des Berges treten, um uns den Weg zum Gipfel zu bahnen. Ich bin viel zu erschöpft, um zu realisieren das wir es schaffen werden. Ich setze einen Fuß vor den anderen und ignoriere einfach den starken Druck in meinem Kopf. Wir haben Glück es schneit nicht mehr und das aufkommende Tageslicht erhellt die Eiswüste um uns herum. Es ist keine Spur von abschmelzenden Gletschern am Kilimandscharo zu sehen, eher im Gegenteil. Ich habe keineswegs das Gefühl einen Berg am Äquator zu besteigen. Alles wirkt so majestätisch, so kalt und massiv, dass es auch im Himalaja sein könnte. Ich hätte mir diesen doch schon so oft bestiegenen Berg nie so schwierig vorgestellt. Und bei dem Gedanken rinnen mir die ersten Tränen über die kalten Wangen.
Wir haben es geschafft und stehen 6:20 Uhr, pünktlich zum Sonnenaufgang, auf dem Uhuru Peak, dem höchsten Punkt des Afrikanischen Kontinents. Leider bleibt nicht viel Zeit diesen Augenblick in vollen Zügen zu genießen, denn viel zu schlecht sind wir akklimatisiert und um gesundheitlichen Risiken zu entgehen, dürfen wir nicht zu lange auf dem Gipfel verweilen. Das Wetter macht die Entscheidung leichter, denn nach einigen Fotos und ein paar weniger Filmsequenzen, beginne ich als Letzter den langen Abstieg. Nun lasse ich auch meinen Gefühlen freien Lauf und weine vor Freude, aber auch vor Erschöpfung, während mir andere Bergsteiger unterhalb des Gipfels mit fahlem Gesichtsausdruck entgegen trotten. Jeder der den Kilimandscharo bestiegen hat, hat es sich redlich verdient. Wenn dieser Gigant als Latschberg oder sehr einfach bezeichnet wird finde ich es falsch, denn auch dieser Herausforderung muss man sich stellen und schenken tut einem der Kilimandscharo genau so wenig wie ein anderer 6.000er auf unserem Planeten.
Vor mir liegt nicht nur der Abstieg bis auf 4.600 m ins Baranco Lager, sondern später bei einsetzendem Regen steigt mein gesamtes Team noch bis auf 3.100 m ins Mweka Camp hinunter. Völlig entkräftet und durchnässt, aber gesund und glücklich, erreiche ich gegen Mittag als Erster dieses Lager. Von hier aus geht es dann erst am nächsten Tag zurück nach Arusha und binnen kürzester Zeit liegt die eisige, dünne Luft hinter mir und ich finde mich umringt von meinem Radanhänger und den Packtaschen in meinem Hotelzimmer wieder. Ich werde hier zwei Tage pausieren, bevor ich mit dem Fahrrad gen Norden radle, um den Mt. Kenia, den zweithöchsten Berg Afrikas unter die Lupe zu nehmen. Was mich begleitet ist nicht nur eine hart verdiente Grundakklimatisierung, welche 2 Wochen anhalten soll, sondern auch tolle Erlebnisse und einzigartige Ausblicke vom Dach Afrikas!
Euer Gil
Afrika, 12.12.2013